Grenzneuregelung vor 150 Jahren zwischen Kreiensen und Greene

Ortsheimatpfleger Jürgen Sander

Die Grenzlinie entlang der Leine zwischen beiden Leinetalgemeinden ist von besonderer Brisanz, die in diesem Beitrag näher herausgestellt werden soll. Sie wird sich wie ein roter Faden durch die weitere geschichtliche Darstellung in unterschiedlicher Bedeutung und Interessenlage wiederholen und somit eine besondere Eigenschaft als Grenzfluss einnehmen.
Der Einstieg soll hier mit der ersten Landesvermessung im Herzogtum Braunschweig und Lüneburg im Jahr 1757 beginnen. Entsprechende Dorfkarten wurden für jeden Ort erstellt. Damals gab es jedoch noch keine Flurstücks-Nummern für die einzelnen Grundstücke.
Für bebaute Grundstücke bestand aufgrund des Gesetzes von 1753 eine Brandversicherung als Pflichtversicherung im Herzogtum. Die anderen Länder/ Herzogtümer ringsum hatten zu gleicher Zeit und zum Teil auch schon früher solche Pflichtversicherungen eingeführt. Jedes Gebäude im Ort wurde mit einer Assekurationsnummer versehen. In Greene wurden zu damaliger Zeit 74 bebaute Grundstücke erfasst.
Diese fortlaufenden Nummern wurden in die Vermessungs-Kartenwerke von 1757 übernommen. Somit konnte eine gute Zuordnung erreicht werden.
Die nächste Flurneuordnung – verbunden auch mit Austausch von Gemarkungs-/Gemeindegrenzen – ereignete sich zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die als Separation bezeichnete landwirtschaftliche Flurneuordnung – auch als Verkoppelung und Gemeinheitsteilung bekannt – zog sich über mehr als 30 Jahre hin. In den 1860er Jahren begann man mit den Flurstückserfassungen. In einem Rezessbuch wurde für jede Gemeinde die gesamte Neuordnung festgeschrieben. Die Materialien wurden von der Herzoglichen Oeconomie-Commission in Braunschweig zusammengestellt und dokumentiert. Jede Gemeinde erhielt von dem Rezess eine Kopie. Die Originale landeten später in den jeweiligen Landesarchiven, wo sie heute noch eingesehen werden können.
Für den hiesigen Bereich ist zuständig das Niedersächsische Landesarchiv Wolfenbüttel. Dorf und Feldmark von Greene wurden 1868 vermessen. Das Ergebnis ist in dem Kartenwerk NLA WO K 5396 dokumentiert. Einsichtnahmen und Kopie-Anfertigungen dort möglich. Die Greener Feldmark nebst Ortslage ist gegenüber den anderen Ortschaften des Amtes Greene relativ groß. Deshalb ist das Ergebnis auf zwei Kartenwerken vermerkt. Die Besonderheit dieser Neuregelung ist die Tatsache, dass jetzt für jedes Grund-/ Flurstück eine eigenständige Flurstücks-Nummer vergeben wurde.
Überdies wurden die Flächenangaben von Morgen und Ruthen umgestellt auf Hektar, Ar und Quadratmeter. Jedes eigenständiges Flurstück ist fortan an einen Straßenzug oder eine Wegefläche angebunden. Das führte mit dazu, die Dreifelderwirtschaft ersatzlos aufzugeben. Die besagten Kartenwerke für jeden Ortschaftsbereich enthalten zusätzlich
eine namentliche Auflistung der Grundstückseigentümer mit Angabe der zugehörigen Flurstücks-Nummern und Flächengrößen.
Die Einweisung in die neu zugeschnittenen Flurstücke und Grundstücksgrößen erfolgte 1874. Diese vor nunmehr 150 Jahren abgeschlossene Verkoppelung in Greene brachte besonders für die landwirtschaftliche Tätigkeit einschneidende Veränderungen. Vorausgegangen war Anfang des Jahrhunderts die so genannte Bauernbefreiung; seitdem wurde jeder Bauer „Herr der eigenen Scholle“. Zu den weiteren auffälligen Neuregelungen zählte u.a. die Abschaffung des Hirtenwesens. Kuh-, Schaf- Schweine- und Gänsehirten waren somit für das „Gemeinwohl“ entbehrlich geworden.
Es mussten in der Folge neue Festlegungen für künftige Nutzungen vieler gemeinschaftlicher Einrichtungen getroffen werden. Es bildeten sich demzufolge die Feldmarksinteressentschaften und die Forstgenossenschaften, die unter der Aufsicht des Staates standen, was bis heute fortbesteht. Ferner mussten Verantwortliche für die Unterhaltung kleiner Gewässerstrecken festgelegt werden. Für den Luhbach in Greene wurde die Gemeinde Greene als Unterhaltungspflichtiger bestimmt. Als Gegenleistung fiel ihr die Grasnutzung am Gewässerrandstreifen zu, was vielfach zu Verpachtungen
führte. Ferner galt es für die Einrichtungen im Ort wie den Abdeckerplatz, die Flachsrotten, Steinbrüche, Zimmerplatz, Lehm-und Kummergruben Unterhaltungspflichtige und Nutzungsregelungen zu bestimmen. Alles wurde im schon erwähnten Rezessbuch festgeschrieben. Dort finden sich auch noch weitere Bestandsregelungen.
Zur Vervollständigung ist anzumerken, dass die letzte Flurbereinigung in Greene und anschließender Ortschaftsbereiche 1973 stattgefunden hat als Folge der Auflösung der einstigen Herzoglichen Domäne und die damit verbundene Neuordnung der
landwirtschaftlichen Feldflur unter Einbeziehung von acht neuen Aussiedlerhöfen.
Aber die Separation ab den 1860er Jahren hatte für die Ortschaft Greene noch ein ganz besonderes Ereignis, was nach nunmehr 150-jähriger Wiederkehr hier besonders herausgestellt werden soll.
Über Jahrtausende galt die Leine als ein Grenzfluss. Der Hoheitsbereich vieler historischer „Vorgänger“ endete oder begann hier mit der Burgbann-Verleihung für Greene im Jahr 980. In Greene führte zunächst eine Furt über bzw. durch die Leine. 1062
ist die erste Leinebrücke urkundlich belegt. Die Homburger Edelherren sicherten sich hier mit der 1300 fertiggestellten Burg Greene ihre Hoheitsrechte; allerdings immer unter der Oberhoheit des Reichsstiftes und Frauenklosters Gandersheim, dem Greene durch Kaiserliches Dekret übereignet worden war. Insoweit mussten alle nachfolgenden Herrscherhäuser durch das Stift belehnt werden.
Nach dem Aussterben der Hombuger Edelherrschaft 1409 wurden Rechtsnachfolger die Braunschweiger Herzöge mit einer Zwangsverwaltung Mitte des 15. Jahrhunderts durch das Hochstift Hildesheim. Als Grenzbereich bestand die Leine dauerhaft fort. Jenseits der Leine entstand das Amt Gandersheim, was sich in den Folgejahren durch die Distriktverwaltungen im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg fortsetzte. Der Weserdistrikt, dem das Amt Greene angehörte, endete an der Leine.
Dort begann ostwärts gesehen der Harzdistrikt. In der Napoleonzeit zwischen 1807 bis 1813 entwickelte sich kurzfristig eine die Leine überschreitende Verwaltungsstruktur.
Hier entstand das Departement der Leine mit dem Distriktsitz Einbeck. Umfassend 15 Amts- und Ortschaftsbereiche zwischen Seesen bis Holzminden. Nach dem Zerfall des Königreiches Westphalen 1813 wurden die alten Hoheitsbereiche und damit die alten Grenzverläufe wieder hergestellt. Mit der Schaffung der Herzoglichen Kreisdirektion Gandersheim 1833 wurde das Amt Greene in den neuen Kreisbereich Gandersheim eingegliedert. Geblieben sind die Gemeindegrenzen zwischen Kreiensen und Greene entlang der Leine, wie im Kartenwerk dargestellt. Die auf der östlichen Seite gelegene weitere Brücke lag im Amt Gandersheim und somit im Ortschaftsbereich von Kreiensen. Sie überspannte die dort verlaufende Gewässerstrecke vom Leinewehr an, umgangssprachlich auch „Überfall“ genannt.
Die Separation Kreiensen brachte für das Dorf und die Feldmark einschneidende Veränderungen - besonders für gebietliche Zuordnungen. Insbesondere betraf das die Auseinandersetzung um die Abfindung von Grundbesitz der Herzoglichen Domäne
Greene auf Kreiensener Gebiet. Auch die Greener Kirche und die Schule in Greene sowie einige Großköther und Brinksitzer aus Greene hatten zusammen genommen großen Grundbesitz jenseits der Leine. Auch die angrenzenden Gemeinden Beulshausen, Billerbeck, Bentierode und Orxhausen machten aus den unterschiedlichsten Gründen Regulierungsansprüche geltend. Darüber hinaus bestanden gemeinschaftliche Weidenutzungsrechte auf der Feldmark Kreiensen zugunsten von Greene, die es auszugleichen galt.
In Kreiensen wurde daher die Separation früher begonnen als in den angrenzenden Ortschaften mit der Folge, dass bereits 1871 der Kreiensener Rezess abgeschlossen werden konnte. Das machte auch Sinn insofern, weil die Kreiensener Feldmark stark „beschnitten“ werden musste. Bei den an Kreiensen angrenzenden kleineren Orten fand weitgehend ein Austausch von Flächen unter den Beteiligten statt. Bei Greene war das aufgrund des großen Umfangs nicht möglich.
Greene hat daher größere Flächenzuweisungen östlich der Leine erhalten. Einzelheiten ergeben sich aus den Rezessunterlagen beider Gemeinden. Damit ist die Leine in diesem Teilbereich nicht mehr Grenzfluss zwischen den beiden Orten.
Die nebenstehende Karte verdeutlicht die Gebietsänderungen zwischen den beiden Nachbarorten. Nunmehr sind beide Gewässerbrücken und Flussbereiche ausschließlich auf Greener Gebiet. Auf eine Forderung aus Kreiensen ist aufmerksam zu machen: Der Überfall ist weiterhin auf der Feldmark Kreiensen gelegen, wie auch die Karte verdeutlicht. Der Kreiensener Rezess sieht auch Wegerechte zum Überfall an der östlichen Seite der Leine und einige fischereirechtliche Regelungen in der Leine zu Gunsten von Kreiensen vor.
Die seit nunmehr 150 Jahren zurückliegende Gebietsabwicklung sei mit diesem Bericht
in Erinnerung gerufen.

Grenzverlauf Greene und Kreiensen 1874

Plan von beiden Gewässerstrecken 1841

Plan von beiden Gewässerstrecken 1841 - NLA WO K 2137. Die gestrichelte rote Linie zeigt den damaligen Grenzverlauf zwischen Greene und Kreiensen mittig im Flussbett.